Der Theologe Christian Link: Gott ist immer auch der unsichtbare Gott

Hintergrund

Wie kann man in der Moderne von Gott reden? Mit dieser Fage setzte sich der systematische Theologe Professor Dr. Christian Link in einem Vortrag auseinander.

Professor Dr. Christian Link

„Es ist die Gefährdung, die den christlichen Glauben und seine Theologie ständig begleitet, dass Gott sozusagen totgeredet, dass er durch Worte, die ihn verkündigen sollen, verschwiegen wird“, mahnte der Bochumer Theologe zu Beginn seines Vortrags. „Die Formen des Verschweigens sind uns bekannt: Gott wird als eine bloße Formel oder, schlimmer noch, als ein bloßes Versatzstück gebraucht, das gestern mit dem christlichen Staat und seiner Verfassung, heute mit der schleichenden Sinnkrise der Gesellschaft und morgen vielleicht wieder mit einem revolutionären Aufbruch der Jugend, ihrer Emanzipation aus dem Wertgefüge von gestern, zusammengebracht wird.“

Das vage Reden von Gott hat der Glaubwürdigkeit Gottes in der Moderne geschadet
Gerade dieses vage Reden von Gott habe dazu beigetragen, dass Gott in dem Bereich der Wissenschaft und als dessen Folge in der wissenschaftlich geprägten neuzeitlichen Welt, in der es auf genaue Sprache ankomme, entbehrlich und überflüssig geworden sei. Doch wie kann man heute in der Moderne glaubwürdig von Gott reden?  Mit dieser zentralen Frage setzte sich Link mit Blick auf Naturwissenschaften, Philosophie und Theologie auseinander.

Die Moderne muss sich mit der Unsichtbarkeit Gottes abfinden
Link trat dafür ein, dass sich die Moderne entgegen ihren Denkgewohnheiten mit der Unsichtbarkeit Gottes abfinden müsse: „Gott kommt in der Welt nicht vor wie eine Blume oder wie ein seltener Stein, aber offenbar auch nicht so wie ein (gleichfalls unsichtbares) Naturgesetz oder Weltprinzip“, unterstrich der systematische Theologe, zu dessen Forschungsschwerpunkten der interdisziplinäre Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften gehört.

Der verborgene Gott steht dennoch mit der Welt in Beziehung
Diese Unsichtbarkeit dürfe aber nicht reduziert werden auf das Gegenteil zur Sichtbarkeit der Welt. Vielmehr sei sie zu begreifen als „Verborgenheit Gottes“ IN DER WELT. Die Wirklichkeit der Welt könne also nie ohne die Wirklichkeit Gottes erfahren werden, sagte Link unter Bezug auf den Theologen Dietrich Bonhoeffer.

Man muss Abstand davon nehmen, Gott bestimmte Eigenschaften zu unterstellen
Gleichermaßen müsse man Abstand davon nehmen, Gott bestimmte Eigenschaften zu unterstellen, wie es unsere menschliche Vernunft fordert: „Die Vernunft, unterstützt von Predigt und kirchlichem Unterricht, fordert den gütigen, allmächtigen und gerechten Gott“. Doch diese Attribute hielten angesichts von individuellen wie auch globalen Leidenserfahrungen nicht stand: „Gott wird an seinen unterstellten Eigenschaften gemessen, und weil unser Denken sie nicht verifizieren kann, … wird er nicht nur für unglaubwürdig, sondern für tot erklärt.“ Dies sei die moderne Schlussfolgerung aus der Theodizee-Frage, die schon der alttestamentliche Hiob gestellt habe. Doch Hiob sei anders als der Mensch heute mit seiner Ratlosigkeit umgegangen: Er „sagt oder schreit das alles einem schweigenden Gott, aber eben Gott ins Gesicht. …Die Erfahrung der Entzogenheit Gottes gehört in das Bekenntnis zu Gott… Das Sein Gottes wird durch diese Fragen gar nicht in Zweifel gezogen. Ist Gott nicht manifest anwesend, so ist er verborgen, aber auch in dieser Verborgenheit der unbezweifelte, wahre Gott.“

Gott entzieht sich der Vergegenwärtigung durch Formen der sichtbaren Welt
„Gott entzieht sich der Vergegenwärtigung durch die Gestalten und Formen der sichtbaren Welt, er schließt… jeden Versuch, ihn als Sicherung, Ergänzung oder Überhöhung des weltlichen Daseins zu verstehen aus“, unterstrich Link. Dabei widersprächen sich biblisches Bilderverbot und die biblische Aussage vom Menschen als Ebenbild Gottes nicht. Das Gebot, das jegliches Bild Gottes verwehrt, schütze zugleich den Menschen: „Es ist deutlich, dass damit allen, auch allen dogmatischen Letztaussagen über den Menschen ein Riegel vorgeschoben ist.“

Die unauslöschliche Spur des fern gerückten Gottes ist im Antlitz des Anderen zu erkennen
Mit Blick auf den Holocaust fragte Link abschließend: „Kann man heute überhaupt noch glaubhaft von Gott reden?“ In der Beantwortung dieser Frage folgte er den Gedanken des jüdisch-französischen Philosophen Emmanuel Levinas. Gott sei heute, so die Interpretation von Levinas, in keinem Horizont der Welt mehr anwesend, geblieben sei lediglich eine Spur. Diese unauslöschliche Spur des so fern gerückten Gottes sei im Antlitz des Anderen zu entdecken, „denn es hält noch in seinem wortlosen Appell die Erinnerung an das die Basis aller Menschlichkeit begründende und sichernde Gebot wach: „Du sollst nicht töten!“

Mit dem Vortrag von Link schloss die interdisziplinäre Tagung „Ist Gott unsichtbar? Von der klassischen Theodizee-Frage bis zu modernen Rationalitätsansprüchen.“ Üblicherweise sagt man, Gott sei unsichtbar. Aber was heißt das genau? Was meint Unsichtbarkeit? Hierzu gab es Vorträge aus unterschiedlichen Disziplinen.

Der Theologe Christian Link: Gott ist immer auch der unsichtbare Gott